Was bezweckt Erdoğan mit dem „Entwicklungsstraßenprojekt“ im Irak? Die geplante Handelsroute bildet einen Belagerungsring im Süden Kurdistans und wird die Konflikte in der Region verschärfen.
Der Krieg in den Medya-Verteidigungsgebieten eskaliert. Die HPG teilten mit, dass die faschistische AKP/MHP-Diktatur am 16. April einen neuen Invasionsangriff auf Metîna gestartet hat. Auch eine Bilanz des Krieges im April wurde von den HPG bekannt gegeben. Es ist eine deutliche Zunahme der Luftangriffe und des Einsatzes verbotener Waffen durch den türkischen Staat zu verzeichnen. Dabei wird er offensichtlich von den USA und der NATO maßgeblich unterstützt.
Dagegen gab es Ende April und Anfang Mai wirksame Aktionen der Guerilla. Es wird davon ausgegangen, dass die Guerillaaktionen, insbesondere gegen die Besatzungstruppen in Metîna, den faschistischen AKP/MHP-Horden erhebliche Schläge versetzt haben. HPG-Sprecher erklärten, dass bei jeder Aktion Dutzende Besatzer erschossen wurden. Auch ein Sikorsky-Hubschrauber, der im Invasionsgebiet landen wollte, soll von der Guerilla getroffen worden sein. Es ist offensichtlich, dass sich die Guerilla heldenhaft gegen jeden Besatzungsangriff wehrt.
In ihrer jetzigen Form sind die Invasionsangriffe sehr intensiv, aber nicht auf dem Niveau, das während des Winters permanent angekündigt wurde. Das heißt, in dieser Form kann die Regierung unter Tayyip Erdoğan das Ziel, das sie sich bis zum Sommer 2024 gesetzt hat, nämlich „die vollständige Vernichtung der PKK im Nordirak“, nicht erreichen. Von der „Vernichtung der PKK“ ganz zu schweigen, wäre die türkische Armee ohne die Unterstützung des PDK-Verrats nicht einmal in der Lage, an den von ihr besetzten Orten zu bleiben. Wenn sie eine teilweise Wirksamkeit zeigen kann, dann ausschließlich mit Unterstützung der PDK.
Was also wird die AKP/MHP-Regierung tun oder was plant sie zu tun? Es scheint, dass Erdoğans ausgiebigen Besuche im Irak und in Hewlêr [Erbil] nicht das gewünschte Ergebnis gebracht haben. Er hat sein Ziel, eine „gemeinsame Truppe“ aus irakischen, PDK-, YNK- und turkmenischen Kräften unter seiner Führung zu bilden, nicht erreicht. Nach wie vor wird er von der PDK und turkmenischen Banden eskortiert. Der Irak und die YNK haben gezeigt, dass sie außer der „Akzeptanz der Pufferzone“ keinerlei militärische Unterstützung leisten können. Was bleibt, ist die Zunahme des Handels und das berühmte Iraq Development Road Project.
Zu diesem „Entwicklungsstraßenprojekt“ gab es viele Kommentare. Einige sagten, es sei ein „Invasionsprojekt im Irak“, andere sprachen von einer „Falle für den Irak“. Zweifelsohne haben alle diese Beschreibungen bemerkenswerte Aspekte. Es hieß, dass sich viele arabische Staaten an dem Projekt beteiligen würden. Kuwait wies das jedoch sofort zurück und dementierte eine Beteiligung. Neben der Türkei und dem Irak ist auch Katar dabei. Insofern scheint es unwahrscheinlich, dass es sich bei diesem Projekt um ein neues und alternatives Energieroutenprojekt handelt. Zweifellos möchte Tayyip Erdoğan, dass dies der Fall ist und eine Alternative zu dem amerikanisch-israelisch-saudischen Handelsroutenprojekt wird, und er informiert seine Kreise in diesem Sinne. Allerdings ist diese Situation viel schwächer als das anvisierte aserbaidschanisch-türkische Straßenprojekt durch Bergkarabach.
Warum also beharrt die Erdoğan-Regierung so sehr auf diesem Projekt? Das mag zum Teil mit dem Wunsch zusammenhängen, den Handel zu fördern. Denn die Türkei braucht dringend mehr Handel mit dem Irak, insbesondere mit Öl. Aber sie kann diesen Bedarf auch ohne ein solches Projekt decken. Der Hauptzweck dieses Projekts muss also ein anderer sein. Und dieser Hauptzweck sollte im Zusammenhang mit den türkischen Besatzungsangriffen gesehen werden.
Es ist besonders wichtig, den Hintergrund des als „Entwicklungsstraßenprojekt“ bezeichneten Plans zu betrachten. Die geplante Route umgeht Südkurdistan und würde den Handel über den von der PDK betriebenen Grenzübergang Xabûr schwächen, was zum Schaden der Bevölkerung wäre. Viele können nicht begreifen, dass die derzeitige PDK-Regierung trotzdem mehr als alle anderen auf den Bau dieser neuen Route erpicht ist. Manche Dinge lassen sich jedoch durch Bestechung erledigen, und höchstwahrscheinlich wurde die PDK-Führung auf dieser Grundlage überzeugt. Die Barzanîs werden also so viel Geld bekommen, wie sie wollen, während die Menschen in Südkurdistan Schaden erleiden.
Gleichzeitig stellt das „Entwicklungsstraßenprojekt“, wie es geplant ist, einen Belagerungsring im Süden Kurdistans dar. Offenbar will die Erdoğan-Regierung, die es nicht geschafft hat, die Medya-Verteidigungsgebiete mit einer gemeinsamen Einsatztruppe von Süden her einzukreisen, jetzt ganz Südkurdistan belagern und dieses Manko auf diese Weise kompensieren. Außerdem führt die Route durch eine Region, in der viele Völker zusammen mit Kurdinnen und Kurden leben und die von der PKK als „mittleres Gebiet“ bezeichnet wird. Von Zeit zu Zeit ist die Rede davon, dass die PKK auch in dieser Region aktiv werden will. Es wird davon ausgegangen, dass die faschistische AKP/MHP-Diktatur die Entwicklung der PKK in dieser Region mit dem fraglichen Straßenprojekt verhindern und ihre eigenen Aktivitäten expandieren will. Es soll als „Turkmenen-Gebiet“ in eine neue Zone für Söldnerbanden verwandelt werden. Aus diesem Grund ist es richtiger und verständlicher, das fragliche Projekt als „Besatzungs- und Kriegsstraßenprojekt“ und nicht als „Entwicklungsstraßenprojekt“ zu bezeichnen.
Offensichtlich plant die faschistische AKP/MHP-Diktatur, die fragliche Route zu einem neuen Bandengebiet wie Idlib und die Besatzungszone zwischen Efrîn und Serêkaniye in Syrien zu machen. Unter dem Deckmantel „Straßenbau und Handel“ wird sie hier eine große Anzahl von offenen und geheimen Militärs, Geheimdiensten und Spezialkräften positionieren. Mit diesen Kräften wird sie das Gebiet nicht nur de facto besetzen, sondern auch versuchen, ihre laufenden Besatzungsangriffe gegen die Medya-Verteidigungsgebiete zu unterstützen und der PKK-Guerilla auf diese Weise einen Schlag zu versetzen.
In dieser Hinsicht ist es eine wichtige Situation für die Menschen im Irak und in Südkurdistan, und eine sehr wichtige Situation für die PKK. Diese Versuche und Bemühungen der Erdoğan-Regierung werden die Konflikte in der Region verschärfen und mehr als den Handel den laufenden Krieg in Medya-Verteidigungsgebiete auf den Irak ausweiten. Alle sollten diese Situation so verstehen und sich dieser Realität bewusst werden.
Wird es zu einer solchen Entwicklung kommen? Zweifellos lässt sich diese Frage nicht sofort eindeutig beantworten. Es wird vor allem von den Entwicklungen und dem Verlauf des Krieges in der Region abhängen. Die Regierung unter Tayyip Erdoğan will diese Situation ausbauen. Um an der Macht zu bleiben, sieht sie keine andere Möglichkeit, als den Krieg zu eskalieren und auszuweiten. Die von Tayyip Erdoğan nach den Kommunalwahlen vom 31. März verfolgte Politik wird immer deutlicher. Er sucht Zustimmung in der Türkei und in der Welt und verfolgt dafür ganz klar eine Politik des Kompromisses. Denn es gibt keine andere Möglichkeit, die Reichtümer zu schützen und zu bewahren, die er dreißig Jahre lang gestohlen und angehäuft hat. Die Angst hat Tayyip Erdoğan völlig in Beschlag genommen. So sind auch sein Treffen mit dem CHP-Vorsitzenden Özgür Özel und seine politischen Botschaften an die Türkei und die Welt zu verstehen. Um sein Ziel zu erreichen, muss er einen „gemeinsamen Feind“ schaffen, und der „gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus“ erfüllt dieses Bedürfnis. Auf dieser Grundlage macht er den Krieg gegen die PKK und die Kurdinnen und Kurden zum Hauptgegenstand seiner Politik. Kurzum, er muss den Krieg gegen die PKK weiter ausbauen und ausweiten.
Aber wird seine Kraft dafür ausreichen? Offensichtlich ist diese Frage das Hauptproblem der Regierung unter Tayyip Erdoğan. Es fällt ihr schwer, im Inland weitere Kräfte für den Krieg zu finden. Nach außen hin ist Erdoğans Lage noch schlimmer. Putin kommt nicht zu dem erwarteten und angekündigten Besuch. Der wochenlang propagierte US-Besuch und das Treffen mit Biden entpuppten sich als Reinfall, und die US-Regierung gab bekannt, dass es keinen solchen Plan gebe. Der deutsche Präsident traf sich bei seinem Türkei-Besuch noch vor Erdoğan mit der Opposition. Es blieb Tayyip Erdoğan nichts anderes übrig, als nach Hewlêr zu den Barzanîs zu fahren und dort eine Show abzuziehen. Es ist noch nicht klar, wem die Umarmung zwischen Barzanî und Erdoğan nützen und wem sie schaden wird. Kurz gesagt, das „Kriegsstraßenprojekt“ könnte auch das Ende von Tayyip Erdoğan sein.
Der Kommentar erschien zuerst bei Yeni Özgür Politika.